Die Altersgruppe in unserer Kirche, die häufig in den Hintergrund tritt, nämlich die 25 – 45-jährigen möchte Diakonin Janette Zimmermann mit ihrer Arbeit erreichen. Kann das gelingen? Wie die Diakonin diese Aufgabe erfüllt, beschreibt sie in dem folgenden Interview.
Dede: Sie sind Diakonin im Kirchenkreis Laatzen-Springe in einem Projekt beschäftigt, das ganz neue Wege gehen will. Was genau und wer soll mit dem Projekt erreicht werden?
Zimmermann: Ich möchte gerne mit meiner Generation ins Gespräch kommen, genauer gesagt mit den 25 - 45-jährigen, die in unserer Gemeinde am wenigsten auftauchen und für die wir am wenigsten anbieten. Es ist eine Altersgruppe, die am wenigsten von der Kirche erwartet und die Kirche von ihr. Trotzdem ist meine Generation auf der Suche, und nach was eigentlich, das möchte ich mit meiner Stelle herausfinden. Es gibt also keine genaue Aufgabenbeschreibung, kein Zielfoto, ich soll die Leute nicht in die Gemeinde holen und auch keine neue Gemeinde gründen. Da ist alles offen. Ich darf forschen, hören, Alltag leben, ausprobieren, wieder hören, wahrnehmen, ….
Dede: Warum dieses Projekt ausgerechnet in Springe? Warum bietet sich ausgerechnet dieser Ort an?
Zimmermann: Die St. Andreasgemeinde in Springe ist eine sehr offene Kirchengemeinde. Hier darf vieles gleichzeitig passieren. Es gibt hochkarätige Orgelkonzerte, ein internationales Café, einen Waldkindergarten, Spinnstubentreffen, Pfadfinder, ein Gemeindefest mit Stadtfestcharakter und vieles mehr. Deshalb bietet sich diese Gemeinde an. Hier darf alles sein und hier dürfen auch Fehler gemacht werden. Und zum zweiten ist Springe der Ort an dem ich mit meiner Familie lebe und sich meine „Berufung“ immer auch ganz natürlich damit verknüpft. Ich teile Alltag mit meiner beruflichen Zielgruppe.
Dede: Es sollen also Menschen im Alter zwischen 25 und 45 angesprochen werden? Wie machen Sie das, wie gehen Sie auf die Menschen zu und wie laden Sie sie ein? Wie reagieren die Menschen auf Ihr Angebot?
Zimmermann: Ich habe Menschen eingeladen, mit mir über Springe, Leben, Glauben und Sinn zu reden. Ich habe dazu einen Fragenkatalog mit offenen Fragen, die lose unser Gespräch begleitet haben. Es war immer sehr intensiv und persönlich – ein Schatz, den die Menschen mit mir geteilt haben. Deswegen war es auch sehr vielfältig, aber ein paar Gemeinsamkeiten gab es dann doch. Viele wünschten sich einen Ort, an dem sie mit Kindern willkommen sind. Also, habe ich mit einem ehrenamtlichen Team im Dezember für zwei Wochen in einem leer stehenden Friseurladen ein Familiencafé aufgemacht. Mit einem großen Spielteppich, Kaffee & Keksen und vor allem Zeit und familienfreundlicher Atmosphäre. Unser Name ist Programm: Familiencafé „kleine pause“. Und es kamen viele, mit großer Begeisterung.
Dede: Wann und wie gelingt es, Menschen dabei für Kirche zu interessieren – oder sollte Kirche sich besser erstmal für die Menschen interessieren? Hörererfahrungen, sagten Sie, spielen dabei eine besondere Rolle. Was meinen Sie damit?
Zimmermann: Genau das ist mein Ansatz. Es ist Zeit, dass wir wieder mehr auf die Menschen hören und dem folgen. Was nützt es einen wunderbar ausgestalteten modernen Gottesdienst anzubieten, wenn die Menschen gar keinen Gottesdienst suchen? Ein Freund sagte einmal: „Janette, du machst mit der „kleinen pause“ Kirche für unsere Altersgruppe wieder gesellschaftsfähig.“ Wir haben die Verbindung zu dieser Generation weitgehend verloren, die gilt es wiederherzustellen, ohne nach einem Sinn und Nutzen für die Kirche zu fragen, einfach, weil uns alle Menschen am Herzen liegen und weil die freimachende Botschaft des Evangeliums zu kostbar ist, um sie nur in bewährter Form ans Volk zu bringen. Und dann werde ich zwischen Kindergeschrei und Bratapfeltee gefragt, ob ich ein Kinderbuch empfehlen kann, das die Weihnachtsgeschenke mit christlicher Botschaft verknüpft, oder mir wird beim Abwaschen in der Mittagspause von großen Lebensängsten erzählt, oder wir sprechen einen Tauftermin ab, …. Das alles passiert, weil es Begegnungen im Alltag gibt, weil ich immer wieder hinhöre.
Dede: Sie wollen mit dem Projekt auch bisherige Strukturen und Kirchenbilder hinterfragen. Was haben Sie dazu schon herausbekommen?
Zimmermann: Mir wird immer deutlicher, dass unsere Gesellschaft im Wandel ist, wir sind mitten drin in einem großen Umbruch. Große Zukunftsfragen stehen an: Klimaschutz, Krieg und Flucht, Arm und Reich, Erwerbsarbeit oder Grundeinkommen, Sinn und Ethik, digitale Revolution, … Das sind alles wahnsinnig komplexe Themen, die uns natürlich Angst machen. Was trägt da noch? Was gibt Sicherheit? Ich glaube, dass wir als Kirche verstehen müssen, dass wir selber da auch nicht immer Antworten haben, aber dass wir mit auf dem Weg sind, das Fragen, Angst und Fehler sein dürfen, dass in der Kirche Raum dafür ist. Die Menschen wollen nicht angepredigt werden, sie brauchen authentische Nachbarschaft. Es geht um Beziehung. Es braucht Menschen der Kirche, die Teil dieser Stadt sind und dabei offen und ehrlich ihren Glauben teilen, mit allen Fragen und Zweifeln und Hoffnungen und Wünschen - mitten im Alltag, als Küsterin, Kirchenvorsteher, Pfadfinder, Chormitglied, Organistin, Diakon, Pastorin, Hausmeister, Anpacker, Kuchenbäckerin, …. Und dann wird etwas entstehen, vielleicht eine neue Art von Kirche, vielleicht eine Rückbesinnung auf die Schätze unserer Tradition, vielleicht Beides - wenn wir offen sind und uns mit auf den Weg machen, dürfen wir Gottes Gegenwart in dieser Welt ganz neu entdecken, denn Gott ist eh schon da, davon bin ich überzeugt.
Dede: Welches persönliche bzw. berufliche Profil, welche Haltung, brauchen Sie für Ihre Arbeit?
Zimmermann: Gelassenheit und Gottvertrauen: Ich vertraue darauf, dass Gott schon in Allem ist, ich brauche die Menschen nicht missionieren, ich darf Gottes Spuren folgen und entdecken, wo Orte des Segens sind (Missio Dei).
Menschenliebe: Mir sind die Menschen, denen ich begegne wirklich sehr wichtig, jede*r Einzelne. Ich habe eine Grundhaltung entwickelt, die die persönliche Begegnung immer am Wichtigsten nimmt - Abrechnungen, Planungen, Sitzungen und Protokolle können warten.
Reflexionsfähigkeit: Ich nehme wahr, das ist meine Art zu denken, zu leben, zu glauben, eben genau das ist: meine Art. Und es gibt viele Arten zu denken, zu leben, zu Glauben - zum Glück. Unser beschränktes Denken braucht Schubladen um neue Eindrücke einzusortieren, um Menschen einzuschätzen, aber alles ist im Wandel. Ich denke immer wieder um, kippe die Schubladen aus und sortiere neu.
Dede: Was waren bisher die besten Erfahrungen in dieser Tätigkeit?
Zimmermann: Die persönlichen Begegnungen. Natürlich ist es auch toll, wenn Dinge, die ich ausprobiere, funktionieren, wenn 100 Menschen in den Sommerferien zu einer „kleinen pause“ auf den Schulhof kommen. Aber das worum es eigentlich geht, sind die Beziehungen. Und zwar sowohl die Beziehungen im ehrenamtlichen Team, wo wir merken, wir schaffen das, wir schaffen hier etwas Großes für Familien in Springe, als auch die Beziehungen in den vielen kleinen und großen Gesprächen.
Dede: Gibt es auch Frust? Wie gehen Sie damit um?
Zimmermann: Das ehrenamtliche Engagement hat sich verändert. Wir setzen in Kirche noch viel auf langfristiges ehrenamtliches Engagement und fühlen uns schon innovativ, wenn wir den Menschen anbieten sich projekthaft zu engagieren. Aber ich erlebe auch hier zurzeit einen großen Umbruch, eine große Scheu ehrenamtlich Verantwortung zu übernehmen, egal für wie lange. Ist der gesellschaftliche Druck von allen Seiten so hoch, dass wir da, wo wir die Wahl haben, allen Druck rausnehmen? Was macht das dann mit unserer Gesellschaft? Wie können wir dann Glauben ausprobieren und Kirche gestalten?
Die Stelle hat im Projektantrag den Obertitel „Glaube durch Partizipation“. Partizipation haben wir dabei als Engagement verstanden, als mitdenken und mitanpacken. Ich wollte eine Art ehrenamtliches Leitungsteam aufbauen, das den Verlauf der Projektstelle bestimmt. Das war eine absolute Überforderung. Also bin ich auf der Suche, wie Partizipation dann geschehen kann und begegne einer großen Dankbarkeit, dass ich die Dinge anpacke und jede*r partizipiert, wie es eben gerade passt und dran ist, mit viel, wenig oder keinem Engagement. Ich experimentiere und habe noch keine Antwort, denn, dass unsere Kirche vor allem an Hauptamtlichen hängt ist nicht meine Zukunftsvision.
Dede: Nun die letzte Frage: Wo kann man mehr erfahren und wie kann man Kontakt mit Ihnen aufnehmen?
Zimmermann: Ich freue mich über Anrufe (0176 66 551863) oder Mails Janette.Zimmermann@evlka.de.
Vielleicht haben Sie ja ähnliche Fragen oder Erfahrungen?
Und vor kurzem wurde ein Podcast mit mir aufgenommen, der ist zu hören unter https://frischetheke-podcast.de/13-janette-zimmermann
Dede: Herzlichen Dank für das Gespräch.
Janette Zimmermann ist seit Anfang 2018 Diakonin in Springe in der Region Hannover und dort für fünf Jahre angestellt, finanziert u. a. über den Fonds missionarische Chancen. Sie hat an der Hochschule Hannover studiert und ihre Diplome im Jahr 2009 absolviert. Sie wurde 2010 als Diakonin im Kirchenkreis Peine eingesegnet, wo sie die Jugendkirche „freiraum“ aufgebaut hat.