Kindertafel Lüneburg

Nachricht 09. Juli 2019

Diakoninnen Antje Stoffregen und Anna Schlendermann

Die Lüneburger Kindertafel, wozu sie in einer vermeintlich reichen Stadt nötig ist, und was Kirche anzubieten hat, darüber informieren die Leiterin Diakonin Antje Stoffregen und die Diakonin Anna Schlendermann. Außerdem sind sie ein gutes Team mit vielen anderen. (Stichworte: Kinder, Gemeinwesendiakonie, Vernetzung, doppelt qualifiziert)

Dede: Ihr Werdegang als Diakoninnen ist sehr unterschiedlich, auch unterschiedlich lang. Was hat Sie bewogen, in der Kindertafel Lüneburg tätig zu werden.

Stoffregen: Für mich ist es spannend, dass ich die Erfahrungen und Kompetenzen aus meinen bisherigen Arbeitsfeldern (Gemeindediakonin, Seelsorgerin psychiatrische Klinik, Referentin Fachstelle Leben im Alter, Koordinatorin Familienzentrum) als Leiterin der Kindertafel und des Paul-Gerhardt-Hauses mit gemeinwesendiakonischer Ausrichtung wunderbar einfließen lassen kann.

Schlendermann: Als Berufsanfängerin habe ich nach einer „unklassischen“ Stelle gesucht. Eine Stelle in der ich meine Erfahrungen aus dem Berufsanerkennungsjahr einfließen lassen konnte. Die habe ich hier gefunden.

Beide: …und jetzt hat sich auch noch herausgestellt, dass wir ein super Team sind: aus zwei Generationen. Beide neugierig, engagiert, motiviert und fröhlich dabei!

Dede: Mit einer Kindertafel wurde auf eine bestimmte Notsituation reagiert. Wie kommt es dazu, dass eine vermeintlich reiche Stadt wie Lüneburg eine Kindertafel braucht? Wie wurde die Tafel aufgebaut?

Stoffregen: Vor 24 Jahren hat der damalige Pastor Wesenick festgestellt, dass die Konfirmanden zuhause noch kein Mittagessen erhalten hatten. Damit wurde die Idee geboren, Mittagessen für Kinder anzubieten und im Laufe der Zeit hat sich die Kindertafel zu einem festen Bestandteil der Gemeindearbeit weiterentwickelt. Auch, wenn es inzwischen in vielen Schulen ein Mittagsangebot gibt, gehört das gemeinsame Essen an der „Tafel“ zum Kern unserer Arbeit. Neben der EssensZeit gehört zu unserem Angebot eine HausaufgabenZeit, eine LernZeit und natürlich die FreiZeit – alles mit ehrenamtlich Engagierten. Darüber hinaus haben wir viele Kontakte zu den Eltern, Schulen, Kooperationspartnern, Spendern. Wir bezeichnen die Kindertafel manchmal als „Wundertüte“ – denn es gibt hier vieles, worüber man sich wundern kann: einerseits natürlich, dass es ein solches Angebot in unserer Stadt/ Gesellschaft überhaupt geben muss, anderseits aber auch welch hohe Wertschätzung und Bereitschaft zur Unterstützung durch Ehrenamtliche und Spender wir erleben. Und dann wundern wir uns auch immer wieder über die Kinder und ihre Begabungen, ihre Freude und und und….

Dede: Was sind die Ziele der Tafelarbeit hier in Ihrer Einrichtung? Können die Ziele sich verändern? Was ist das Besondere an Ihrer Arbeit?

Schlendermann: Etwas für mich sehr Alltägliches, dass Menschen verschiedenster Religionen und Herkunftsländern bei uns in der Kindertafel/im Gemeindehaus ein- und ausgehen – sich zuhause fühlen ist in unserer Arbeit etwas Besonderes. Wir sind hier mehr als ein Mittagessen. Wir lernen miteinander über Herkunftsländer, verschiedenste Sprachen und Religionen. Die Integration der Kinder in deren Elternhäusern wenig deutsch gesprochen werden kann, unterstützen wir mit Angeboten in der Lern- und FreiZeit besonders.

Ziel ist es jedes Kind als eigenständiges Individuum zu betrachten und das Kind mit all dem was es mitbringt zu stärken. In der Hausaufgaben- und LernZeit ist die Förderung der Bildungsteilhabe ein klares Ziel.

Ein weiteres Ziel ist es den Ehrenamtlichen gute Rahmenbedingungen für ihr Engagement zu ermöglichen und dabei immer wieder im Austausch mit ihnen darüber zu sein.

Dede: Wie viele Kinder kommen zu Ihnen? Gibt es auch Erwachsene, die in der Kindertafel involviert sind, z.B. Eltern oder Großeltern?

Stoffregen: In der Kindertafel haben wir an allen Schultagen von 13:00 bis 16:30Uhr Platz für 20 Grundschulkinder. Darüber hinaus kommen „Ehemalige“, um bei uns Nachhilfe zu erhalten. Die Eltern sind jeden Monat zu einem Elterncafé und gelegentlich zu besonderen Aktionen eingeladen; einige Mütter mit Migrationshintergrund kommen
wöchentlich zu „Deutsch für Eltern“.
Zur Zeit arbeiten in der Kindertafel rund 50 Ehrenamtliche: Frauen und Männer zwischen 17 und 82 Jahren - Schüler*innen, Studierende, Berufstätige und Ruheständler. Je nach Neigung engagieren sie sich in
der Küche, bei der Hausaufgabenbegleitung oder Nachhilfe, als Lesepaten, oder bei Freizeitaktivitäten…
Die gemeinwesendiakonische Ausrichtung im Paul-Gerhardt-Haus zielt darauf, dass ganz unterschiedliche Menschen sich begegnen: so treffen z.B. im Spiele-Café Kindertafel-Kinder mit älteren Menschen aus dem Stadtteil zusammen; bei der EssensZeit für ALLE sind jeden Freitag Menschen aus dem Stadtteil in unserem „EssensZeit-Restaurant“; beim Singen für ALLE kommen Kinder aus dem Hort, Kinder aus der Kindertafel und Erwachsene aus dem Stadtteil zusammen ….
Durch die Begegnung entstehen Beziehungen zwischen Menschen, die sich vorher nicht wahrgenommen haben. Ein Beispiel: die Mutter eines Kinders der Kindertafel kommt zum Spielen, Singen und zum Gymnastikcafé, weil sie hier Gelegenheit hat, als irakische Frau deutsch zu lernen/zu sprechen. Nach einigen Begegnungen hat sie Freundschaft mit einer älteren Dame geschlossen, die zufällig in der gleichen Straße wohnt. Beide fahren nun gemeinsam mit dem Bus zum Paul-Gerhardt-Haus.

Dede: Sie sind mit mehreren Mitarbeiter*innen in der Kindertafel tätig, was sind speziell Ihre Aufgaben als Diakoninnen?

Stoffregen: Als Leiterin der Kindertafel und des Paul- Gerhardt-Hauses bin ich für die Gesamtkonzeption und Weiterentwicklung unserer Angebote, das Ehrenamtsmanagement, für Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising zuständig. Kommunikation ist dabei meine Hauptaufgabe: mit Gemeindegliedern, Ehrenamtlichen, Kooperationspartner*innen, Spender*innen, Kindern, Eltern etc. Als Diakonin erlebe ich mich in der Rolle der „Ermöglicherin“ für Engagement, Unterstützung, Vernetzung und Begegnung. Und wenn ich beim monatlichen Stadtteilspaziergang am Freitagabend einen „Segen für das Wochenende“ spreche, in einer Alltagssituation einen Bezug zu einer biblischen Geschichte herstelle oder hin und wieder einen Gottesdienst gestalte – dann passt das alles gut zusammen!

Schlendermann: Meine Aufgaben liegen schwerpunktmäßig in der täglichen Begleitung der Kinder und Ehrenamtlichen (und Praktikant*innen). Von Begrüßen bis Verabschieden bin ich Ansprechpartnerin und Moderatorin für das alltägliche Geschehen. Dazu gehören die Planungen des Tagesablaufs und Ausflüge in der FreiZeit. Am Ende des Tages steht die Reflexion des Erlebten mit den Ehrenamtlichen. Als Diakonin empfinde ich es als Schatz, Menschen so nah begleiten zu können und das 'Wachstum' der Einzelnen zu beobachten. Ich bin gespannt, die Kinder ab der 5. Klasse im Jugendtreff zu erleben.

Ein ganz anderer Teil, und zwar die Mitarbeit in der Konfirmandenarbeit, in der Gemeinde gehört seit kurzem auch zu meinen Aufgaben.

Dede: Warum machen Sie das als Diakoninnen? Können diese Aufgaben nicht auch durch andere Berufsgruppen übernommen werden? Was machen Sie ggf. anders?

Stoffregen: Als Diakonin beglückt mich die Vielfalt der Aufgaben – getragen von einem fundierten christlichen Auftrag. Ein Beruf mit Herz, Hand und Verstand! Einen besseren könnte es für mich nicht geben!

Schlendermann: Klar, meine Aufgaben könnten auch von einer Sozialarbeiterin ohne Doppelqualifikation übernommen werden. Doch der Kirchengemeinde war es wichtig eine Diakonin einzustellen – zu meinem Glück. Das Fundament des Glaubens und die Gemeinschaft der Berufsgruppe stärken mich, gerade als Berufsanfängerin.

Dede: Wie muss man vernetzt sein, um als Tafel arbeiten zu können? Wie finanziert sich die Arbeit?

Stoffregen: Wir „leben“ von vielen Menschen, die unsere Arbeit finanziell und durch Mitmachen tragen. Eine Kirchenvorsteherin hat die Kindertafel über viele Jahre ehrenamtlich geleitet und unermüdlich Spenden gesammelt, Tombolas veranstaltet und auf unzähligen Veranstaltungen für die Kindertafel geworben. Durch dieses Erbe – und eine befristete Förderung durch eine städtische Stiftung - können wir diese Arbeit nun beruflich tun. Die Aufgabe der Vernetzung über die Kirchengemeinde hinaus zu vielen Institutionen, Geschäftsleuten, Vereinen und Einzelpersonen gehört dazu.

Dede: Was ist in der Arbeit besonders aufreibend und was gibt es an schönen Erfahrungen?

Schlendermann: Puh, wo soll ich da anfangen. Die Kinder kommen aus verschiedensten Familiensystemen und jeden Tag nach einem ereignisreichen Schultag, das ist an manchmal schon aufreibend genug. Denn wenn 20 Kinder beim Mittagessen erzählen wollen, kann es wuselig werden. Die Kinder erzählen sich mittlerweile auch gegenseitig, was sie auf den verschiedenen Schulen über Bienen oder Verkehrserziehung oder bei einem Theaterbesuch erlebt haben. Eine ganz schöne Erfahrung in der Arbeit ist es die Kinder und Ehrenamtlichen ‚wachsen‘ zu sehen. Zu sehen wie ihr Selbstvertrauen größer wird und sie etwas wagen. Ein mutiges Kind z.B. steht am Essenstisch auf und gibt das Weihnachtsgedicht „Holler, Boller, Rumpelsack“ vor der Gruppe zum Besten. Wow.

Stoffregen: In der Arbeit mit Kindern aus benachteiligten Familien gibt es immer auch schwierige Situationen: Vernachlässigung, Gewalt oder Armutsprobleme. Es gehört zu unserer Aufgabe, in diesen Situationen ansprechbar zu sein und gleichzeitig unsere Grenzen zu achten. Gut, dass wir in diesen Situationen gut vernetzt sind, auf Hilfsangebote hinweisen, ggf. dorthin begleiten können und uns auch selbst z.B. durch das Kinderschutzzentrum fachliche Beratung „gönnen“. Schöne Erfahrungen gibt es unendlich viele in unserer Wundertüte! Und jeden Abend das Gefühl: Diese Arbeit lohnt sich!

Dede: Wie kann man mit Ihnen Kontakt aufnehmen und wo kann man mehr erfahren?

Stoffregen: Einfach anrufen 04131/ 223477, schreiben: info@kindertafel.de, uns besuchen: Bunsenstraße 82 in Lüneburg oder mal mitmachen: Schnuppern, Praktikum, Hospitation u. ä. sind immer möglich! Infos unter unter www.kindertafel.de oder www.paul-gerhardt-lg.de.

Dede: Liebe Frau Stoffregen und liebe Frau Schlendermann, vielen Dank für das Gespräch.