Dede: Sie haben alle vorher Gemeindeerfahrung gesammelt. Wie ist die Entscheidung entstanden/gewachsen, ins DW zu wechseln? Wie wurde das möglich?
Nolte: Durch die Kürzung meiner Gemeindestelle 2013: Ich habe im DW einen Stellenanteil von 10 %, 25 % bin ich Beauftragte für Hospiz- und Palliativseelsorge und 65 % in der Kirchengemeinde Selsingen.
Gessner: Über 20 Jahre lang habe ich mit Kindern und Jugendlichen im Bereich von verschiedenen Kirchengemeinden arbeiten dürfen. Das hat mir einen riesen Spaß gemacht. Irgendwann stellte sich dann die Frage, ob ich das bis zum Ende meiner Dienstzeit einfach weitermache, oder ob ich mich noch einmal beruflich verändere und so der Gemeinde auch die Chance zu einer Veränderung gebe. Es war nicht leicht eine Stelle zu finden, auf der ich mit meinen Gaben und meinen Interessen gut aufgehoben bin, denn die meisten freien Stellen waren in der Jugendarbeit und dann auch eher so klassisch. Ich hatte aber in den letzten 14 Jahren neben der kirchlichen Jugendarbeit ein Jugendzentrum mit einer Teil-Offenen-Tür-Arbeit etabliert und betrieben. Das ist eine sehr gemeinwesenorientierte Arbeit gewesen.
Den Ausschlag für einen Wechsel hat dann die Ausschreibung einer Kirchengemeinde gegeben, die ihr diakonisches Profil im Bereich der Generation 55plus schärfen wollte und dazu mit dem Diakonischen Werk im Kirchenkreis Bremervörde-Zeven eine gemeinsame Stelle geschaffen hatte. Das war für mich eine neue und sehr reizvolle Aufgabe, die zudem noch mit dem bereits angesprochenen Studium verbunden war. Heute kann ich sagen: „Eine echte Bereicherung für mich!“
Wolf: Nach einigen Jahren im Gemeindedienst war es an der Zeit, etwas Neues zu beginnen und einen neuen ergänzenden beruflichen Impuls zu setzen. Diakonische Fragen und Aufgaben haben mich bereits im Studium der Religionspädagogik interessiert und dieses wollte ich vertiefen. Zudem habe ich im Diakonieausschuss des KKT seit Beginn meiner beruflichen Tätigkeit mitgearbeitet.
Dede: Gibt es für Gemeinden und DW einen „Gewinn“, dass Sie die Erfahrung als Diakon*in mitbringen? Worin besteht der?
Gessner: In meinem Studium stehe ich immer wieder im Austausch mit den Kommiliton*innen. Dabei werde ich oft nach einer christlichen Antwort auf soziale Fragestellungen gefragt. Mir fällt auf, dass wir dann immer wieder mal zur sozialen Frage eine Glaubensfrage dazustellen und so auf ganz andere Antworten kommen. An diesem Beispiel wird für mich deutlich, dass wir als Diakon*innen den Gemeinden umgekehrt helfen können, neben den Glaubensfragen auch auf die sozialen Fragen zu kommen und da dann überraschende Antworten zu finden. Durch die Vernetzung in der Diakon*innenkonferenz ergeben sich immer wieder Gelegenheiten, Projekte anzuschieben und zu unterstützen. Und auch die Erfahrungen mit Zielgruppengottesdiensten helfen manchmal, in den Gemeinden das „diakonische Ohr“ zu öffnen.
Einen anderen Gewinn sehe ich in der Tatsache, dass ja auch Gemeindeglieder in die Sozialberatung kommen. Wenn dann in den Gesprächen deutlich wird, dass ein geistliches Wort, ein Gebet oder ein Segen nicht nur angemessen, sondern notwendig ist, dann traut man Diakon*innen das eher zu als reinen Sozialarbeiter*innen. Dann wird Sozialberatung auch schon mal zur Seelsorge.
Im Bereich der Begleitung der Ehrenamtlichen bin ich heilfroh über die Erfahrungen, die ich in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sammeln durfte. All die Gruppen und Kreise, die es zu leiten galt, die Schulungsangebote für Mitarbeitende und die Zeit als Unterrichtender im Konfirmandenunterricht helfen mir heute im Umgang mit den Ehrenamtlichen in meinem neuen Arbeitsbereich. Ich hoffe, denen hilft es auch.
Nolte: Ja: Der Umgang mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ist mir durch die langjährige Gemeindepraxis sehr vertraut.
Wolf: Ich denke schon. Kirchenvorstände denken von der Gemeinde her. Da ist ein Spezialist aus einem übergemeindlichen, unterstützenden Dienst sicherlich wichtig. Ich selber muss jedoch im Blick behalten, aus welcher Warte Gemeinden denken und handeln. Das Gleiche gilt für das DW. Und: Soziale Arbeit / Diakonie ist ein biblischer Auftrag.
Dede: Was ist der größte Unterschied zwischen Gemeindearbeit und Arbeit im DW, wo gibt es Verbindungen?
Nolte: In der Gemeinde ist es die aufsuchende Arbeit, d.h. wenn ich z.B. im Kindergarten höre, dass der Opa eines Kindes gestorben ist, kann ich die Familie ansprechen. Im DW ist der aktive Schritt der Kontaktaufnahme von den Betroffenen zu machen.
Verbindungen zwischen Gemeindearbeit und DW: Es hat sich im Laufe der Jahre herumgesprochen, dass ich im DW Trauerberaterin bin, d.h. in der Gemeinde sprechen mich Betroffene jeden Alters zunehmend an.
Wolf: Die Arbeit im Diakonischen Werk ist mit staatlichen Anforderungen stärker verbunden und fordert heraus. Im selbststrukturierten Handeln finden sich Parallelen. Projekte starten und begleiten zudem. Die Projekte wurden größer und kostenintensiver.
Gessner: Das DW hat für mich eine ganz andere Struktur als eine Gemeinde. Allein dieser Umstand wirkt sich auf die Arbeit aus. Der Bereich der Wortverkündigung tritt noch stärker in den Hintergrund. Dafür ist dann mehr der gelebte Glaube gefragt. In der allgemeinen Sozialberatung erlebe ich etwas mehr Frust wenn ich sehe, dass Menschen nur einen einmaligen Kontakt suchen und dabei für Ihren Vorteil auch gerne mal zu – sagen wir „individuellen Geschichten“ greifen. In der Gemeinde waren die Kontakte oft langfristiger angelegt.
Im Miteinander mit den Ehrenamtlichen gibt es hingegen viele Parallelen. Einige der Mitarbeitenden sind ja auch in der Kirchengemeinde engagiert. Andere sagen auch schon mal Sätze, in denen ich einmal dem Bereich des DW zugeordnet werde: „Wir hier bei der Tafel...“ und im gleichen Atemzug heißt es dann: „... ihr von der Kirche...“. Das finde ich schon Interessant.
Dede: Wie drückt sich Ihre Identität als Diakon*in in der jetzigen Tätigkeit aus?
Nolte: Der 2.Sonntag im Dezember ist der weltweite Gedenktag für verstorbene Kinder. Vor sieben Jahren habe ich eine Andacht für Betroffene auf Kirchenkreisebene jeweils an diesem Gedenktag initiiert, die gut angenommen wird mit dankbaren Rückmeldungen.
Wolf: Es gibt den liturgischen Gottesdienst. Ich arbeite im diakonischen Gottesdienst.
Gessner: Mir fällt auf, dass die Kombination aus Sozialberater und Diakon bei einigen Menschen viel Vertrauen weckt. Irgendwie stehe ich als kirchlicher Mitarbeiter für etwas Positives. Ab und zu tauchen dann halt auch die Lebens- und Glaubensfragen in den Gesprächen auf. Auch die Schwellenangst, die Menschen davon abhält, im Kirchenbüro nachzufragen, wie das mit der einen oder anderen kirchlichen Amtshandlung aussieht, ist in der Beratungsstelle des DW niedriger. Da werde ich als Mittler angefragt. Die Vernetzung im Kirchenkreis mit den Kolleg*innen hilft ungemein, Menschen in den Orten, in denen sie Leben in Kontakt zu anderen zu bringen und auf die Angebote der Kirchengemeinde hinzuweisen. Zur Not, den persönlichen Kontakt herzustellen, hilft auch immer wieder.