Dede: Wann und wie gelingt es, Menschen dabei für Kirche zu interessieren – oder sollte Kirche sich besser erstmal für die Menschen interessieren? Hörererfahrungen, sagten Sie, spielen dabei eine besondere Rolle. Was meinen Sie damit?
Zimmermann: Genau das ist mein Ansatz. Es ist Zeit, dass wir wieder mehr auf die Menschen hören und dem folgen. Was nützt es einen wunderbar ausgestalteten modernen Gottesdienst anzubieten, wenn die Menschen gar keinen Gottesdienst suchen? Ein Freund sagte einmal: „Janette, du machst mit der „kleinen pause“ Kirche für unsere Altersgruppe wieder gesellschaftsfähig.“ Wir haben die Verbindung zu dieser Generation weitgehend verloren, die gilt es wiederherzustellen, ohne nach einem Sinn und Nutzen für die Kirche zu fragen, einfach, weil uns alle Menschen am Herzen liegen und weil die freimachende Botschaft des Evangeliums zu kostbar ist, um sie nur in bewährter Form ans Volk zu bringen. Und dann werde ich zwischen Kindergeschrei und Bratapfeltee gefragt, ob ich ein Kinderbuch empfehlen kann, das die Weihnachtsgeschenke mit christlicher Botschaft verknüpft, oder mir wird beim Abwaschen in der Mittagspause von großen Lebensängsten erzählt, oder wir sprechen einen Tauftermin ab, …. Das alles passiert, weil es Begegnungen im Alltag gibt, weil ich immer wieder hinhöre.
Dede: Sie wollen mit dem Projekt auch bisherige Strukturen und Kirchenbilder hinterfragen. Was haben Sie dazu schon herausbekommen?
Zimmermann: Mir wird immer deutlicher, dass unsere Gesellschaft im Wandel ist, wir sind mitten drin in einem großen Umbruch. Große Zukunftsfragen stehen an: Klimaschutz, Krieg und Flucht, Arm und Reich, Erwerbsarbeit oder Grundeinkommen, Sinn und Ethik, digitale Revolution, … Das sind alles wahnsinnig komplexe Themen, die uns natürlich Angst machen. Was trägt da noch? Was gibt Sicherheit? Ich glaube, dass wir als Kirche verstehen müssen, dass wir selber da auch nicht immer Antworten haben, aber dass wir mit auf dem Weg sind, das Fragen, Angst und Fehler sein dürfen, dass in der Kirche Raum dafür ist. Die Menschen wollen nicht angepredigt werden, sie brauchen authentische Nachbarschaft. Es geht um Beziehung. Es braucht Menschen der Kirche, die Teil dieser Stadt sind und dabei offen und ehrlich ihren Glauben teilen, mit allen Fragen und Zweifeln und Hoffnungen und Wünschen - mitten im Alltag, als Küsterin, Kirchenvorsteher, Pfadfinder, Chormitglied, Organistin, Diakon, Pastorin, Hausmeister, Anpacker, Kuchenbäckerin, …. Und dann wird etwas entstehen, vielleicht eine neue Art von Kirche, vielleicht eine Rückbesinnung auf die Schätze unserer Tradition, vielleicht Beides - wenn wir offen sind und uns mit auf den Weg machen, dürfen wir Gottes Gegenwart in dieser Welt ganz neu entdecken, denn Gott ist eh schon da, davon bin ich überzeugt.
Dede: Welches persönliche bzw. berufliche Profil, welche Haltung, brauchen Sie für Ihre Arbeit?
Zimmermann: Gelassenheit und Gottvertrauen: Ich vertraue darauf, dass Gott schon in Allem ist, ich brauche die Menschen nicht missionieren, ich darf Gottes Spuren folgen und entdecken, wo Orte des Segens sind (Missio Dei).
Menschenliebe: Mir sind die Menschen, denen ich begegne wirklich sehr wichtig, jede*r Einzelne. Ich habe eine Grundhaltung entwickelt, die die persönliche Begegnung immer am Wichtigsten nimmt - Abrechnungen, Planungen, Sitzungen und Protokolle können warten.
Reflexionsfähigkeit: Ich nehme wahr, das ist meine Art zu denken, zu leben, zu glauben, eben genau das ist: meine Art. Und es gibt viele Arten zu denken, zu leben, zu Glauben - zum Glück. Unser beschränktes Denken braucht Schubladen um neue Eindrücke einzusortieren, um Menschen einzuschätzen, aber alles ist im Wandel. Ich denke immer wieder um, kippe die Schubladen aus und sortiere neu.
Dede: Was waren bisher die besten Erfahrungen in dieser Tätigkeit?
Zimmermann: Die persönlichen Begegnungen. Natürlich ist es auch toll, wenn Dinge, die ich ausprobiere, funktionieren, wenn 100 Menschen in den Sommerferien zu einer „kleinen pause“ auf den Schulhof kommen. Aber das worum es eigentlich geht, sind die Beziehungen. Und zwar sowohl die Beziehungen im ehrenamtlichen Team, wo wir merken, wir schaffen das, wir schaffen hier etwas Großes für Familien in Springe, als auch die Beziehungen in den vielen kleinen und großen Gesprächen.
Dede: Gibt es auch Frust? Wie gehen Sie damit um?
Zimmermann: Das ehrenamtliche Engagement hat sich verändert. Wir setzen in Kirche noch viel auf langfristiges ehrenamtliches Engagement und fühlen uns schon innovativ, wenn wir den Menschen anbieten sich projekthaft zu engagieren. Aber ich erlebe auch hier zurzeit einen großen Umbruch, eine große Scheu ehrenamtlich Verantwortung zu übernehmen, egal für wie lange. Ist der gesellschaftliche Druck von allen Seiten so hoch, dass wir da, wo wir die Wahl haben, allen Druck rausnehmen? Was macht das dann mit unserer Gesellschaft? Wie können wir dann Glauben ausprobieren und Kirche gestalten?
Die Stelle hat im Projektantrag den Obertitel „Glaube durch Partizipation“. Partizipation haben wir dabei als Engagement verstanden, als mitdenken und mitanpacken. Ich wollte eine Art ehrenamtliches Leitungsteam aufbauen, das den Verlauf der Projektstelle bestimmt. Das war eine absolute Überforderung. Also bin ich auf der Suche, wie Partizipation dann geschehen kann und begegne einer großen Dankbarkeit, dass ich die Dinge anpacke und jede*r partizipiert, wie es eben gerade passt und dran ist, mit viel, wenig oder keinem Engagement. Ich experimentiere und habe noch keine Antwort, denn, dass unsere Kirche vor allem an Hauptamtlichen hängt ist nicht meine Zukunftsvision.
Dede: Nun die letzte Frage: Wo kann man mehr erfahren?
Zimmermann: Vor kurzem wurde ein Podcast mit mir aufgenommen, der ist zu hören unter https://frischetheke-podcast.de/13-janette-zimmermann
Dede: Herzlichen Dank für das Gespräch.